Ein Gewerkschaftsangehöriger Arbeitnehmer verteilt in der Mittagspause Gewerkschaftszeitschriften zu Werbezwecken an Arbeitskollegen und versucht, sie zum Beitritt zu bewegen. Der Arbeitgeber mahnt ihn deshalb ab und untersagt ihm zukünftig, die Kantine mit dem Ziel zu betreten, an Dritte Gewerkschaftszeitungen zu verteilen. Da die Werbung zulässig war, sind die ausgesprochene Abmahnung und das (bedingte) Hausverbot für die Kantine wegen Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 GG unwirksam.
Von dem Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG erfasst sind auch Aushänge und Prospektmaterial, in denen auf die mit der Gewerkschaftsmitgliedschaft verbundenen satzungsgemäßen Leistungen und sonstige Vorteile wie etwa den Arbeits-, Sozial- und Familienrechtsschutz sowie Vergünstigungen beim Abschluss bestimmter Versicherungen bzw. Mitgliedschaft in einem Automobilclub hingewiesen wird.
Eine tarifzuständige Gewerkschaft wie zum Beispiel die Kirchengewerkschaft darf sich überdies an Arbeitnehmer über deren betriebliche E-Mail-Adressen mit Werbung und Informationen wenden. Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber den Gebrauch der E-Mail-Adressen zu privaten Zwecken untersagt hat. Das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsrecht des Arbeitgebers und sein von Art. 2 Abs. 1 GG erfasstes Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb haben nach der Rechtsprechung des BAG gegenüber der gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit zurückzutreten, solange der E-Mail-Versand nicht zu nennenswerten Betriebsablaufstörungen oder spürbaren, der Gewerkschaft zuzurechnenden wirtschaftlichen Belastungen führt.
Die Werbemaßnahmen müssen nicht durch Betriebsangehörige Arbeitnehmer erfolgen, auch externe Gewerkschaftsbeauftragte können zur Mitgliederwerbung Zutritt zum Betrieb verlangen.
Die Werbung durch Betriebsratsmitglieder ist grundsätzlich zulässig. Allerdings sind sie bei ihrer Amtsausübung durch § 75 Abs. 1 BetrVG zur verbandspolitischen Neutralität verpflichtet und dürfen ihre Amtsstellung nicht benutzen, um neue Mitglieder für ihre Gewerkschaft zu werben. Betriebsratsmitglieder dürfen daher als Gewerkschaftsmitglieder im Rahmen der Koalitionsfreiheit Werbung für die Mitgliedschaft betreiben. Sie dürfen hierbei jedoch nicht die Objektivität und Neutralität ihrer Amtsführung aufgeben und nicht Arbeitnehmer wegen deren gewerkschaftlicher Einstellung bevorzugen oder benachteiligen.
Hubert Baalmann,
Dipl. Jurist Gewerkschaftssekretär
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